Suplement V

Senckenbergiana biologica

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Sonck. biol. | Band 39 | Nummer 3/4 | Seite 165—168 | Frankfun am Main, 30. 8. 1958

Scardinius racovitzai n. sp. (Pisces, Cyprinidae),

eine reliktäre Rotfeder aus Westrumänien.

Von G. J. Müller,

Institut für Höhlenforschung Rumäniens „F. G. RACOVITZA”, Cluj.

Mit 3 Abbildungen und 1 Tabelle

Der Badeort „1.Mai”, früher als „Püspök-Fürdö”, „Bischofsbad”, „Bäile Episcopesti” etc. bekannt, liegt etwa 8 km südwestlich von Oradea (Großwardein) in Westrumänien. Neben diesem Badeort, der schon zur Römerzeit bekannt war, befinder sich ein kleiner thermaler Teich, Petzea benannt, mit einer Gesamtoberfläche von etwa 4000 qm.

Diese kleine „tropische Oase” beherbergt eine spezifische Fauna und Flora mit einigen endemischen Arten,  welche als Tertiärrelikte aufzufassen sind. Aus diesen Gründen wurde der Teich 1930 unter Naturschutz gestellt.  Die ersten ichthyologischen Untersuchungen des Teiches und besonders des Petzea-Baches, der aus diesem entspringt und 15 km weiter in den Crişul-Repede (Schneller-Kreisch) mündet, führten Pauca & Vasiliu (1933) durch, die aus diesen, die aus diesen Gewässern 6 Fischarten angeben (Nomenklatur nach Antipa, 1909): Cyprinus carpio L., Gobio fluviatilis Cuvier, Barbus petenyi Heckel, Rhodeus amarus Agassiz,  Squalius cephalus L. und Cobitis taenia L.
Im Jahre 1953 unternahm ich von neuem faunistische Forschungen in diesen Thermalgewässern und untersuchte zunächst die Fischbevölkerung. Unter anderem fand ich, daß die von Pauca & Vasiliu aufgezählten Fischarten auch heute im Petzea-Bach leben (Wassertemperatur 20-23°C), in Gemeinschaft mit anderen rheophilen Arten [Cobitis aurata subsp., Vimba vimba carinata (Pallas), Chondrostoma nasus L.]. Diese kommen sicherlich aus dem Crişul-Repede, mit Ausnahme von Rhodeus, welcher jetzt fehlt.
Im Petzea-Teich (Wassertemperatur 28-40°C) lebt in großer Individuenzahl ein Vertreter der Gattung Scardinius, der mit seinen morphologischen und biologischen Merkmalen von der gemeinen Rotfeder (Sc. erythrophthalmus L.) abweicht. Diese geben ihm eine taxionomische Mittelstellung zwischen der gemeinen (Sc. erythrophthalmus Linnaeus und der griechischen Rotfeder (Sc. graecus Stephanidis).

Ich widme diese neue Art dem Andenken Prof. E. G. Racovitza’s zum 10. Jahrestag seines Todes. Scardinius racovitzai n. sp. Material: 76 Exemplare aus dem Petzea-Teich. Holotypus: Naturhistorisches Museum „GR. ANTIPA” in Bukarest, Holotypus No. 10, 1 ad. ♀. (3 Paratypen SMF 4307-9). Terra typica: Thermalteich Petzea neben Oradea, Westrumänien.

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Maße des Holotypus: Totallänge 89 mm, Standardlänge 73,5 mm, Kopflänge 22 mm, Maximalhöhe des Körpers 24.3 mm, Minimalhöhe des Körpers 7,5 mm, Schwanzstiellänge 15,2 mm.

Diagnose: D II-III (8) 9 (10), A III 10 (11-12), P I 13-14, V I-II 9, Laterallinie (39) 41 (7) 8/4 43 (44), Pharyngealzähne 3.5-5.3, Wirbel 36-37. Die Körperdimensionen zur Standardlänge bezogen (in %) sind: Maximalhöhe 28,3-34,7% (Mittelwert 32,1); Schwanzstiellänge 15,1-21,0% (Mittelwert 18,2); Kopflänge 24,7-30,6% (Mittelwert 27,9); Augendurchmesser 5,51-7,76%  (Mittelwert 6,83) Augendurchmesser 20,4-27,1% (Mittelwert 25,1) der Kopflänge. Länge der Brustflosse 60,2-69,3% (Mittelwert 66,7) der Entfernung zwischen der Brust- und Bauchflosseninsertion. Der Hinterrand der Seitenschuppen ist 2-3 lappig.

Vergleichende Beschreibung: Scardinius racovitzai n. sp. unterscheidet sich von den beiden anderen Arten der Gattung (erythrophthalmus und graecus) durch eine geringere Körpergröße. Von 76 Exemplaren, welche ich zur Verfügung hatte, waren alle geschlechtsreif; ihre Standardlänge betrug beim kleinsten 37 mm und beim größten 93 mm.

Der Körper ist verhältnismäßig weniger hoch und seitlich dicker als bei erythrophthalmus von ähnlichen Ausmaßen. Seine Form erinnert an Rutilus oder noch besser an Hemiculter leucisculus (Bas.).
Der Kopf ist länger als bei erythrophthalmus, aber kürzer als bei graecus, bei welchem die Kopflänge immer die Maximalhöhe des Körpers überragt. Mit diesem Merkmal nimmt Sc. racovitzai eine Mittelstellung zwischen den beiden übrigen Arten ein. Diese Schnauze ist verhältnismäßig lang. Die Mundöffnung

Abb. 1-3. Scardinius racovitzai n. sp. 1) Seitenansicht des Holotypus. 2) Kopf, Ventralansicht eines Paratypus. 3) Seitenschuppe.

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ist der Horizontalebene näher gelegen als bei erythrophthalmus. Die Mundwinkel enden in der Höhe der Nasenöffnungen. Zwischen den Nasenöffnungen befindet sich eine kleine, für diese Art charakteristische Rinne.
Die Pharyngealzähne sind stark gezähnt, beide Reihen derselben sind leicht einwärts gekrümmt. Das Vorderende des Vomer ist breiter und mehr hervorragend als bei erythrophthalmus. Das Mesethmoid ist gut entwickelt, nach Form und Lage ähnlich dem von Cyprinus.

Art                                          erythropthalmus                                    racovitzai 
Herkunft                    Tieche aus der Siebenbürger                   Thermalteich Petzea

                                           Hochebene

                                           n      lim.     M                            n      lim.      M

Standardlänge in mm            38    66-113  86                          65   60-93    77,4
H in % von l                         38  27,6-30,8 28,4                       65  28,3-32,7 32,1
p in % von l                         38  19,2-21,0 20,4                       65  15,1-21,0 18,2
с in % von l                         38  20,1-24,4 22,3                       65  24,7-30,6 27,9
o in % von l                        38  4,91-6,93 6,36                       65  5,51-7,76  6,83
o in % von с                        38  23,4-29,6 27,3                       65  20,4-27,1 25,1
P in % von P-V                    38  83,7-94,6 88,8                       65  60,2-69,3 66-7
Anzahl der Wirbel                25    38-39   38,6                         65    36-37   36.7
Spini branchiales                 25    11-12   11,8                         65    10-12   10.9

Tab. 1. Statistischer Vergleich der metrischen (in %- Verhältnissen ausgedrückt) und numerischen Merkmale der Arten erythrophtalmus und racovitzai. — Bedeutung der Zeichen: l = Standardlänge, H = Maximalhöhe des Körpers, p = Schwanzstiellänge, с = Kopflänge, о = Augendurchmesser, P = Länge der Brustflosse, P-V = Entfernung zwischen  der Brust- und Bauchflosseninsertion, n = Anzahl, lim. = Grenzwerte, M = Mittelwert.

Mit Ausnahme der Brustflosse sind die Flossen denen von erythrophthalmus ähnlich. Die Brustflosse von racovitzai ist verhältnismäßig viel kürzer als bei erythrophthalmus und der Hinterrand runder (bei erythrophthalmus ist dieser spitzer). Die Schuppen sind mäßig groß. Der Durchmesser der Seitenschuppen ist annähernd gleich dem Augendurchmesser. Der Hinterrand der Seitenschuppen ist lappig, ein hauptsächliches Unterscheidungsmerkmal der Art racovitzai. Die Laterallinie augenscheinlich und leicht gebogen.
Genitalpapille bei beiden Geschlechtern vorhanden. Sexualdimorphismus wenig ausgeprägt; bei den Männchen ist der Unterlappen der Schwanzflosse etwas länger als bei den Weibchen.

Die Färbung ist sehr lebhaft. Der Rücken ist malachitgrün, die Seiten goldgelb, der Bauch hellgelb. Das Operculum hat einen messingfarbenen Fleck. Die Iris ist golden, mit einem melanistischen Kranz. Die Brust- und Bauchflosse sowie der Vorder- und Außenrand der Afterflosse und der Distalrand der Schwanzflosse sind zinnoberrot.

 Biologie: Sc. racovitzai ist eine ausgesprochen stenotherme Art, die an eine ständige Temperatur von 28-34°C angepaßt ist. Bei einer geringeren Temperatur als 20°C verendeten die Versuchstiere in 40-50 Minuten.
Mit Ausnahme der ersten Wochen führt unsere Art ein seßhaftes Dasein zwischen den fadenförmigen Algen, welche in Fülle auf dem Teichboden wachsen. Diese Algen, mit einigen periphytischen Diatomeen, welche auf ihnen leben, bilden die ausschließliche Nahrung von Sc. racovitzai. In den ersten Wo-

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chen, nach der Resorption des Dottersackes, führen die Jungfische ein pelagisches Dasein, schwimmen scharenweise und ernähren  sich von Plankton.

Die Lebenszeit von Sc. racovitzai ist kurz. Nach der ersten Fortpflanzung, die am Ende des zweiten Lebensjahres erfolgt — bei den ♂♂ sogar am Ende des ersten — verenden alle Exemplare in 2-3 Tagen. Die Fortpflanzung findet — nach meinen Beobachtungen der letzten vier Jahre — zwischen dem 27. Februar und 11. März statt. Der ausgestoßene Rogen mißt 0,9-1,2 mm. Die ersten Scharen der Jungfische kann man Ende Mai beobachten.  Sie bestehen aus Exemplaren mit einer Totallänge zwischen 15 und 22 mm.

Biotop: Thienemann (1950: 213) gibt an, daß die einzigen Zufluchtsorte der miozänen Süßwasserfauna  die Thermalgewässer und im besonderen die Petzea-Thermen sind. Das Miozän zeichnete sich in Mitteleuropa durch ein subtropisches Klima aus, mit einem mindestens 10°C höheren Temperaturdurchschnitt als das heutige.
Einige endemische Organismen, die in diesem Teich streng stenotherm sind, wie z. B. die berühmte Nymphaea thermalis (D.C.). Tuzs. ferner die Schnecke Melanopsis parreysi Mühlfeld, ebenfalls für Temperaturen zwischen 34-42; stenotherm, sind als Fossilien noch aus den Tertiärablagerungen bekannt. Diese Angaben beweisen eindeutig, daß der Teich ein ausgesprochen reliktärer Biotop ist.
Unsere Beobachtungen zeigen, daß auch Sc. racovitzai ein streng stenothermes Tier ist und nie die Warmwasserzone von über 28°C verläßt. Der Fang dieser Art ist dort leicht möglich, wo die Temperatur ständig zwischen 30 und 33°C beträgt; mit einem einzigen Wurf kann man viele Exemplare im Sacknetz erbeuten.
Wegen seiner morphologischen Merkmale, die ihn von den übrigen Vertretern der Gattung Scardinius unterscheiden, sowie seiner eigenartigen Biologie sind wir überzeugt, daß auch Scardinius raciovitza, der als Endemismus in diesem As in diesem Thermalteich lebt, eine reliktäre Art darstellt.

In einer zukünftigen Arbeit werde ich die vergleichende Morphologie der drei Arten von Scardinius behandeln, mit dem Ziel ihrer phylogenetischen Einordnung und der Stellung der Gattung Scardinius in der Unterfamilie Leuciscinae.

Schriften.

Antipa, G.: Fauna Ichtiologica a Romaniei. Bukarest 1909.

Berg, L.S.: Ryby presnych vod S.S.S.R. i sopredelnych stran.(Süßwasserfische der UdSSR und der angrenzenden Länder.) 1-3, Moskwa-Leningrad 1948-49.

Brusina, S.: Eine subtropische Oasis in Ungarn. — Mitt. Nat. Ver. Steiermark. 1902.

Pauca, A. & M.: Studien über den Petea-See. (Rumänisch, deutsche Zusammenfassung). — Notar. Biol., 1 (1). 1933.

Pauca M. & Vasiliu, G.: Note ichtyologique sur le lac Petea (Oradea Marc). (Rumänisch, franz. Zusammenfassung). — Not.Biol., 1 (1). 1933.

Stephanidis, S.: Poissons d’cau douce nouveaux pour l’ichthyofaune de la Grece. — Acta Inst. Mus. Zool. Univ. Athen., 1. 1937. (Nach Berg’s Arbeit).

Thienemann, A.: Verbreitungsgeschichte der Süßwassertierwelt Europas. Die Binnengewässer. Bd. 18. 1950.

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